Gesellschaft und Politik - Rumänische Realitäten
Zeitlose Existenzen – Dörfer in der Stadt
Bukarest überschlägt sich. Überreste der vom kommunistischen Conducator Ceauşescu erdachten Hauptstadt paaren sich mit Attributen des hereingebrochenen Kapitalismus. Abgeschirmt hinter Plattenbauten aber finden sich Überlebende eines vergangenen Bukarests: Zeitlose Existenzen. Dörfer in der Stadt.
Wenn man den Blick nicht zu sehr hebt, kann man die Illusion eines rumänischen Dorfes für einige Momente aufrecht erhalten: Wachhunde bellen, Straßenhunde suchen auf einer Brachfläche stumm im Müll nach Essesresten. In einem kleinen, von Trauben überrankten Hof liegt ein Mann unter einer blassblauen, alten Dacia. Der Nachbar repariert das eiserne Dach seines kleinen, einstöckigen Hauses. Ein Pferdewagen fährt vorüber, schrill ruft eine Romafrau. Etwas weiter weg ein Mann, der kehlig, in einer nicht enden wollenden Schleife Worte ausstößt. Frau und Mann sammeln altes Eisen. Ihr Duett klingt zum Klappern der Pferdehufe durch die schmalen Gassen.
Abgeschirmt hinter einem zehnstöckigen Plattenbau liegt dieses kleine Viertel mitten in der rasenden Metropole Bukarest. Es ist eines, das wie andere Ceauşescus Pläne der vollkommenen Kollektivierung der Gesellschaft über die Normierung der Baustrukturen überlebt hat. Es ist Zeuge eines vergangenen Bukarests, geprägt von dörflichen Strukturen. Organisch nach den Bedürfnissen der Bewohner gewachsen wirkte Bukarest lange Zeit mehr eine Ansammlung solcher Dörfern als eine zentralistisch geprägte Stadt.
Man nannte sie »Mahala«, die Viertel mit der einstöckigen Bebauung, Brachflächen, auf denen Tiere weideten und Höfen, in denen man diese nach traditioneller Art schlachtete, Gemüse pflanzte und Vorräte anlegte.
Viele dieser Viertel existierten auch noch als Ceauşescu 1965 die Macht im Land übernahm. Die Individuelle Bauweise und der damit verbundene Lebensstil, sowie die Möglichkeit des Rückzugs ins Private widerstrebten seiner Ideologie. Vor allem aber standen die kleinen, ursprüngllichen Viertel den Plänen einer radikalen Umgestaltung der Hauptstadt im Wege. Im Vorfeld der geplanten Baumaßnahmen ließ Ceauşescu ein Modell der Innenstadt im Maßstab 1:1000 anfertigen, über das er auf einer elektronischen Brücke hinweg schritt und mit einer Handbewegung die Auslöschung ganze Häuserensembles veranlasste. Neben neuem, normiertem Wohnraum sollte in Bukarest ein Palast von ernormen Ausmaßen inmitten eines kollossalen politisch-administrativen Zentrums errichtet werden. Das traditionsreiche jüdische Viertel mit historisch wertvollen Bauten und weitere ländlich geprägte, über Jahrhunderte gewachsene Regionen der Stadt fielen dem Palast, sowie vom Conducator erdachten Sichtachsen und monumentalen sozialistischen Prachtbauten zum Opfer. Man zerstörte 20 – 25% der Innenstadt. 70.000 Bukarester Bürger wurden aus ihren Häusern vertrieben und teils unter Zwang über Nacht in neu errichtete Plattenbauten am Stadtrand umgesiedelt. Als Rechtfertigung der radikalen Abrissaktionen zog man das Erdbeben von 1977 heran. Tatsächlich war die Bausubstanz weit weniger beschädigt als behauptet wurde.
Hinter überdimensionalen Bauten und breiten, viel befahrenen Boulevards haben Fragmente des alten Bukarests im Schatten sozialistischer Machtdemonstration und Geschichte bis heute überlebt. Nur langsam dringen die globalisierten Attribute des hereingebrochenen Kapitalismus, die Großteile des öffentlichen Raums okkupieren, in die Gassen der alten Viertel. Zeitlos geben sich Atmosphäre und Ansichten nur für kurze Augenblicke. Viele der Häuser stehen ausgehöhlt, grau und unbewohnt. Es bleibt zu hoffen, dass die Stadt und ihre Bewohner den wert dieser alten Viertel erkennen.
Quellen:
Joachim Vossen, Bukarest. Die Entwicklung des Stadtraums, Berlin 2004.
Keno Verseck, Rumänien, München 2007