Tanz und Theater in der Stadt
Das Zentrum für zeitgenössischen Tanz in Bukarest
Wir schreiben das Jahr 2004: In Bukarest hat sich eine kleine Szene von Choreographen zusammengefunden, die sich dem Zeitgenössischen Tanz verschrieben haben. Zeitgenössischer Tanz, das heißt hier: Eine Art von Tanz, die sich aus dem Ballet herausgeschält hat und den Tänzer auf der Bühne nicht als anonymen Ausführenden einer Schrittabfolge betrachtet, sondern als eigenständige Person. Bewegungen und Abläufe werden hier also nicht in beispielsweise Plié ausgedrückt, sondern wandeln sich häufig aus Alltagsbewegungen ab. 2004 blickten diese Hand voll Tänzer bereits auf internationale Erfolge zurück, vor allem in Frankreich. Auch eine kleine Halle zum Üben und Aufführen von Choreographien hatten sie sich aus eigener Initiative aufgebaut. Leider ohne jegliche Unterstützung, geschweige denn überhaupt Anerkennung von Seiten der rumänischen Kulturpolitik. Vor allem deswegen musste dieser Ort im Jahr 2002 schließen, wie uns der in Bukarest tätige Norwegische Choreograph Brynjar Bandlien verrät:
Es gab Besucher, die von weit her kamen. Und das zementierte die Szene auf eine Art. Wenn man einen Ort zum Arbeiten hat, kristallisieren sich eine Menge Dinge heraus. Aber es war nur eine Initiative mit dem Geld für ein Jahr und sie eröffneten ein Café, um zu wirtschaften. Als eine Art Nebenfinanzierung. Aber das war kein erfolgreiches Unterfangen. Und obwohl diese ganzen Dinge nur aus dem bisschen Initiierungs-Kapital herauskamen, starb dieses Projekt nach ein paar Jahren und musste schließen. Das Café und die Räumlichkeiten wurden verkauft.
Dennoch generierte diese Schließung nicht nur Frust bei den Bukarester Choreographen, sondern auch die Erkenntnis, dass solch ein Ort in Bukarest nicht bestehen kann, wenn er nur punktuell und vom Ausland unterstützt wird. Es muss eine finanzielle Unterstützung von Seiten der Regierung geben.
Die Leute dachten sich: Ok, wir haben all diese Tourneen im Ausland, wir haben all diese guten Arbeiten, wir sind überall repräsentiert, nur hier nicht, weil wir keinen Ort und kein Geld haben. Also sagten wir uns: Wir müssen Druck auf den Kulturminister ausüben, uns als eine interessante Gruppe anzuerkennen, die eine Unterstützung verdient.
Die Politiker jener Zeit hatten jedoch nur wenig Interesse für eine Art von Tanz, die alte wiederholbare Aufführungsmuster fast aus Prinzip in Frage stellt. Dies änderte sich scheinbar schlagartig, als der französische Kulturminister im Jahr 2004 ankündigte, seinen rumänischen Kollegen zu besuchen. Um den guten Ruf der Künstler auszunutzen, plante der rumänische Kulturminister, für diesen wichtigen Besucher eine »Gala« mit zeitgenössischem Tanz aufzuführen. Brynjar Bandlien:
Das war wie eine große Beleidigung. Sie erkannten unsere Arbeit überhaupt nicht an, aber dann, wenn der französische Kulturminister zu Besuch kommt, stecken sie uns wie eine Blume an die Jacke. Natürlich erklärten wir uns einverstanden, aufzutreten aber natürlich sollte das auch nicht unbemerkt bleiben.
Es war der heutige Direktor des Zentrums für zeitgenössischen Tanz in Bukarest, Mihael Mihalcea, der damals von dem Kulturminister angesprochen wurde, ein Programm für diesen Abend zusammenzustellen:
Ich lud ein paar meiner Kollegen ein, ihre Arbeiten zu präsentieren. Und ich schlug vor, dass wir nicht nur tanzen. Denn wir hätten eine Lüge produziert, wenn wir mit all den Ministern und Diplomaten dort hingegangen wären, getanzt hätten, danach nach hause gegangen wären; und sie wären schon essen gegangen und das war's. Das hätte nichts verändert. Also schlug ich vor, einen Text zu schreiben und ihn vor dem Vorhang vorlesen, bevor die Vorstellung begann. Das wurde ein riesengroßer Skandal in der Presse. Und der Kulturminister war ziemlich sauer. Aber er war auch ein bischen dumm: Denn sein französischer Kollege war bei der Aufführung und er nicht. Und wir haben später herausgefunden, dass er vor der Aufführung anrief um zu sagen, dass er nicht zur Aufführung kommen würde und gleich im Restaurant warte. Stellen Sie sich das vor! Das zeigte genau die Einstellung der rumänischen Behörden. Die perfekte Demonstration ihrer Ignoranz und Einstellung.
Für die damals kurz vor dem Wahlkampf stehende Regierung des Präsidenten Adrian Nastase hatte diese schallende Ohrfeige ungemütliche Folgen: Sowieso schon häuften sich Korruptionsskandale und Affären in der Presse. Während die Politiker also versuchten, diese möglichst ruhig zu halten, machte sich die Tanzszene daran, das Ministerium für Kultur mit Pressekonferenzen und Statements noch mehr unter Druck zu setzen. Mit steigendem Erfolg, wie Brunjar Bandlien im Interview erzählt:
Also versprachen sie uns eine weitere Gala, was wir ablehnten. Wir sagten, dass wir eigentlich keine Galas machen, weil dies nicht wirklich eine zeitgenössische Form ist. Wenn ihr uns unterstützen wollt, gebt uns das Geld, das Ihr für eine Gala ausgeben würdet und wir machen eine ganze Saison mit zeitgenössischem Tanz. Für ein halbes Jahr sollte es regelmäßig Vorstellungen geben, jeden Monat. Und das Ministerium sagte ja, wenn ihr das so wollt, macht das. Also bereiteten wir alles vor: Wir luden Stücke aus dem Ausland ein und bereiteten eigen vor. Alles lief gut und wir hatten auch eine große Eröffnung. Aber immer noch bekamen wir kein Geld vom Staat, sie fanden es schwierig, uns zu bezahlen, weil wir keine Struktur hatten und sie uns nur über das National Theater Geld geben konnten. Und am Ende war es ihnen nicht möglich uns zu bezahlen.
Die geplante Saison hatte also eine große Eröffnung, danach jedoch nur ein schwarzes Loch: Keine Aufführungen, keine Workshops: Und wieder wurde der zeitgenössische Tanz zur heißen Kartoffel, welche die Politiker hektisch versuchten, abzukühlen. In jenen Tagen mit einer ziemlich unerwarteten Handlung, denn plötzlich erhielten die führenden Köpfe der freien Szene eine Einladung in das Ministerium. Als sie sich dort einfanden, konnten sie ihren Ohren nicht trauen, wie der heutige Direktor Mihael Mihalcea von dem Treffen erzählt:
Nachdem wir am Tisch der Repräsentativen Platz genommen haben, sahen wir das Bild der Macht. Wie die Macht ihre Muskeln zeigen kann. Von einer Sekunde zur anderen. Ich meine in einer Sekunde hatten wir nichts: Kein Ort, kein Geld, nichts. Und drei Sekunden später baut man das nationale Zentrum für zeitgenössischen Tanz mit der ganzen Struktur und dem Budget. Wie kommt das? Man sieht: Dies ist lediglich eine Sache des politischen Willens ob so etwas kreiert wird oder nicht. Wenn sie es gewollt hätten, hätten sie das schon vor Jahren einrichten können, aber sie wollten einfach nicht. Also: Nur mit all dem Kampf und dieser Aggressivität konnten wir etwas erreichen.
Das gleich an der Piata Universitate gelegene Zentrum für Zeitgenössischen Tanz erhielt damit seine gesetzliche Grundlage. Zuerst auf 10 Jahre angelegt, ist nun in der rumänischen Verfassung festgelegt, das dieses Zentrum auf Ewigkeit bestehen soll – eine Situation, die in Südosteuropa einzigartig ist. Neben Tanzaufführungen und Workshops mit Musikern, Journalisten und Tänzern finden in den weiträumigen Hallen hinter dem Nationaltheater gelegentlich auch Kunstausstellungen statt. Natürlich haben die Tänzer, nun da sie zur Institution geworden sind, ein wenig den Kampfesgeist abgelegt. Dennoch steckt in den Arbeiten, wie in der ganzen Stimmung dieses Hauses ein dringlicher Geist, wofür Mihael Mihalcea ebenso dringlich argumentiert:
Die Dinge hier in Rumänien passieren nicht einfach so, wie das normal wäre. Sie entstehen nicht von selbst. Man muss sie forcieren. Das ist auch typisch für die politische Situation heute: Da entsteht auch nichts, weil es einfach nötig ist. Man muss irgendwie Gewalt ausüben. Man muss die Behörden dazu bringen, dass wir jemand sind, dass wir Dinge tun, dass wir von internationalen Partnern, Insitutionen und Produzenten geschätzt werden. Denn was im Kulturbereich passiert, basiert meistens auf schriftlicher Kultur: Auf Bücher, Literatur, Theater. Wenn du darstellende Künste machst und oder bildende Kunst ist da nicht so viel da. Die Kunst, die in diesen Bereichen gemacht wird, ist nicht so bekannt bei der Öffentlichkeit. Man muss Laut sein um sichtbar zu werden.
Wenn Mihael Mihalcea an die Zeit der Gründung zurückdenkt, witzelt er oft über seine eigene Institution: Wie ein Zoo sei dieses Zentrum, in das man diese verrückten Künstler mit ihrer verrückten Kunst hereinsteckt, um Ruhe vor ihnen zu haben. Oder eben wie die frischgekochte Kartoffel, die einfach nicht abkühlt, egal, was man tut.
Dieser Bericht ist für www.rri.ro verfasst worden