Gehör verschaffen
Fernab der boomenden
Zentren Rumäniens, in der nordöstlichen
Provinzhauptstadt Iași, hat sich ein Musiker in den Kopf gesetzt, der
Electronic-Szene mit seinem Netlabel Arhiva7 einen Rahmen für
Veröffentlichungen zu schaffen – und wurde damit zum
Geburtshelfer rumänischer Electronic-Musik.
»Alles geht und kommt in Bukarest. Iași ist da eher wie ein ruhiger Fleck, vor allem in der Electronic-Szene.« bemerkt Ion Coroi, während er seinen Gästen bedächtig den Wein nachschenkt. Doch der Weg nach Bukarest ist weit; fast neun Stunden habe er einmal gebraucht. Klar, dass man bei diesen Voraussetzungen nur selten in der musikalisch so reizvollen Hauptstadt sein kann. Vor allem wenn nicht die Musik, sondern die Arbeit als Zahnarzt die Hauptbeschäftigung ist. Das Musik machen verschiebt Ion auf die vielen freien Stunden in seinem Wohnzimmer, allein vor dem Laptop. »Es ist nur Musik, Sounds, ohne etwas eingeschriebenes«, so beschreibt er ganz bescheiden das musikalische Ergebnis dieser Stunden, das er unter dem Namen »Mort la creier« veröffentlicht. Bei seinen Worten kann man kaum glauben, wie wichtig diese Musik und Arhiva7 für Rumäniens Musikwelt sind.
Schenkt man seinen Kollegen in Bukarest Gehör, wird der Name »Mort la Creier« oft zuerst genannt, wenn es darum geht, hoffnungsvolle Beispiele für eigene, rumänische Musik abseits des Mainstreams zu liefern. Wesentlich bekannter jedoch ist das mittlerweile 23 EPs zählenden Netlabel Arhiva7. Ein Label, das er gründete, um zunächst seine eigene Musik öffentlich zu machen. Da Anfangs kaum rumänische Künstler für weitere Veröffentlichungen aufzufinden waren, wich er auf ausländische Experimental- und Electronica-Musiker aus. »Vielleicht haben die Leute damals, als ich mit dem Label begann zu Hause produziert, aber sie waren wohl zu ängstlich, um diese Stücke auszupacken und der Welt zu zeigen. Mit der Zeit haben sie Mut gefasst und trauten sich immer mehr zu.« Seine Idee wurde zum Funken und gab vielen anderen rumänischen Musikern erst den Anreiz, auch ihre Mp3s zum freien Download zur Verfügung zu stellen. So erhielt Ion über die Jahre immer mehr Mp3-Zusendungen aus Städten wie Bukarest oder Timisoara, Tendenz steigend.
Erfreulicher als die zahlreichen Anfragen ist die stetig steigende Qualität der Musik, die übers Datennetz nach Iaşi gesendet wird. »Weißt du, in den letzten Monaten hab ich keine einzige schlechte mp3 erhalten«, stellt Ion fest. Aber auch wenn etwas ein wenig krumm klingen sollte, landet es nicht gleich im Papierkorb des heimischen Laptops. Dafür plant Ion dann kleine Compilations mit verschiedenen, nie gehörten Künstlern. »Wenn Jemand seine Stücke verschickt und ich veröffentliche sie, dann freut es ihn natürlich und er fängt an, richtig hart daran zu arbeiten. Jeder verdient eine Chance.«
Natürlich steckt dahinter eine große Portion Idealismus, die sich ein Major-Label in solch einer Form nicht leisten könnte. In Ions Fall paarten sich dessen Ideale mit den Nöten einer von den Plattenfirmen in Rumänien fast gänzlich ignorierten Szene. »Ich denke mit all den Künstlern, die da draußen richtig große Namen haben, ist es wie in einem Geheimclub: Wenn man ihn betritt, wird man hier und dort eingeladen und man kriegt gute Kritiken. Aber wenn man niemanden kennt, dann schauen sie einen nur von oben herab an.« Vielleicht ist es genau das Fehlen jener hauptstädtischen Arroganz, das sein Konzept der frei zugänglichen Musik auch im unverbesserlichen Bukarest attraktiv macht.
Nicht wenige Arhiva7-Musiker sind es, die noch vor wenigen Jahren erste Stücke in die Moldau-Stadt schickten und mittlerweile auf zahlreichen Festivals spielen. So beispielsweise der mit Videospielsounds arbeitende Minus, der vor kurzem seine ersten Auftritte im Ausland bestritt. Oder auch Silent Strike, dessen mit einem Streichquartett angereicherter TripHop derzeit in Bukarest Erfolge feiert. Hört Ion Coroi von den Erfolgen seiner Sprösslinge, zeigt sich nach andauernder Zurückhaltung schließlich doch auch ein stolzes Lächeln auf seinen Lippen: »Es gibt eine Menge Menschen, die mich kontaktieren und sagen: ›Du hast einen guten Job gemacht, ich will dir helfen. Ich hab da Freunde, die können helfen oder Musik schreiben und sie dir schicken.‹ Ja, ich denke, jetzt ist es gut.«