Get started, Romania!
Rumäniens neue Generation elektronischer Musiker
Nach Jahren der Abschottung sprießen in der rumänischen Pop-Ödnis langsam erste kleine Pflänzchen auf dem Feld der elektronischen Musik – abseits der großen Balkanbeat- und DJ-Exportschlager.
Öffentlich werden, sich zu promoten, daran habe es vor fünf Jahren wohl gemangelt. Wer einen eigenen Computer besaß und elektronische Musik machte, ließ die MP3s meist ungehört auf der Festplatte liegen. »Zu wenig Mut« hätten rumänische Musiker damals gehabt, um »ihre Stücke auszupacken und sie der Welt zu zeigen«, wie sich Ion Coroi, Gründer des ersten rumänischen Netlabels Arhiva7 ausdrückte. Zu sehr hat auch der Blick nach Westen fasziniert, so dass man die eigenen Reihen allzu leicht vergessen konnte. Es ist schon fast zur Tradition geworden, als erfolgreicher Künstler dem eigenen Land den Rücken zu kehren. »In Rumänien sind die einzigen großen Labels kommerzielle. Sie drehen ihr Ding und machen Geld damit. Und jeder rennt weg vor Rumänien. Oder sie versuchen draußen groß zu werden.« Angesichts dieser Situation ist die Wirkung von Arhiva7 auf die heimische Szene enorm. Ein Label, das mit seiner Gründung eine Notwendigkeit zur Tugend machte: Ion alias Mort la Creier wollte zunächst seinen
eigenen Electronica-Kunstwerken einen Rahmen zur Veröffentlichung schaffen. Nach einigen Releases ausländischer Künstler, wie dem spanischen Producer Pablo Akaros, füllten schließlich auch immer mehr Anfragen von rumänischen Musikern Ions E-Mail-Postfach.
Arhiva7
Mittlerweile summiert sich die Zahl der Veröffentlichungen auf satte 23. Mit einem Spektrum von Noise über Techno,Minimal bis hin zu Electronica ist Arhiva7 vom Testfeld zu einer festen Größe im rumänischen Musikbetrieb geworden. »Anfangs haben mir die Leute gesagt: ›Ah, das ist eine Spielerei, das wird vielleicht ein paar Monate so gehen!‹ Aber ich habe v iel Leidenschaft reingesteckt und ich denke die Leute glauben jetzt wirklich an Arhiva7. Und sie erwarten gute Musik von uns.« Absurd, wenn man bedenkt, dass der Sitz des Labels in der zumindest musikalisch recht unbedeutenden Stadt Iaşi an der Grenze zur Republik Moldau liegt und es hauptsächlich von Musikern aus den höher frequentierten Regionen Bukarest oder Timişoara genutzt wird – wohl ein Grund, weshalb Ion Coroi die wenigsten der Künstler persönlich kennt.
Verwunderlich
ist auch das
überdurchschnittlich junge Alter der Musiker. Der in Bukarest
lebende Informatikstudent Daniel Stanciu ist einer unter ihnen:
Gerade einmal 22 Jahre ist er alt. Seine unter dem Namen Minus und
Minus Pocket Edition veröffentlichten Stücke kreisen
um die
8-Bit-Ästhetik alter Videospiele und das Kultobjekt Gameboy.
In
Stücktiteln wie Get Started, Nine Lives oder Spacefight ruft
er
stets nostalgische Erinnerungen an eine Kindheit mit Tetris und
Supermario wach. Doch nicht nur der Klang nährt sich aus dem
Geschmack von Kindheit, auch Melodielinien sind durchsetzt von
pophafter Einfachheit, die so verlockend wie catchy ist.
Vermenschlicht, »humanized«, so Daniel Stanciu,
sollen
seine nicht
selten tanzbaren Reminiszenzen an die Vergangenheit
klingen. »Die Art, wie wir hier in Rumänien
aufgewachsen
sind, ist anders als dort, wo du aufgewachsen bist. In all diesen
Plattenbauten zu leben und auf Beton-Spielplätzen mit Autos
außen herum zu spielen ist eben nicht das gleiche. Und
vielleicht finden das einige jetzt hässlich, aber für
uns
war das wirklich schön. Jetzt vermisse ich diese Zeit. Ja, und
vielleicht spielt Kindheit wirklich eine große Rolle in
meiner
Musik. Sie klingt jedenfalls ein bisschen so.«
Daniel Stanciu aka Minus
Ganz in sein Spiel vertieft steht Daniel während seiner Auftritte auf der Bühne, hält seinen Gameboy fest in beiden Händen und starrt gebannt auf den kleinen Bildschirm, während die Beats aus den Lautsprechern dröhnen. Und obwohl er die im ganzen Land aus dem Boden gestampften Clubs und Konzertsäle bei weitem nicht füllen kann, lässt sich Daniel trotzdem
als so etwas wie ein Jungstar bezeichnen. Denn mit Ausnahme einiger DJs wie beispielsweise Mihai Popoviciu, einer Handvoll Elektronikern der älteren Generation wie der Bukarester Brazda lui Novac haben bislang nur wenige Musiker ausländischen Clubs und Konzertsäle bespielt. Bei seinen Konzerten in Holland oder der Slowakei wurde Minus nicht selten mit dem schlechten Ruf des eigenen Landes konfrontiert: »Das letzte Mal als wir in Den Haag spielten, waren einige der Leute wirklich überrascht davon, dass wir viel moderner sind, als sie es erwartet hätten. Eine Frau erzählte uns, sie hätte gedacht, wir lägen zehn Jahre zurück. Und klar ist es nicht so entwickelt wie manch westeuropäisches Land, aber ganz so schlecht ist es hier auch nicht.«
Rumänien im Wandel
Dass Minus im Ausland zu hören ist, hat man den zwei ehrgeizigen Kuratoren des seit 2006 stattfindenden Rokolectiv Festivals zu verdanken. Ein Festival, das sich dem Gedanken verschrieben hatte, dem Bukarester Publikum auf dem Feld der elektronischen Musik eine erlesene Auswahl vorzustellen, ganz anders als das sonst so oft an großen Namen orientierte Konzertleben. »Als wir die erste Edition machten, ist auf diesem Gebiet fast nichts in Bukarest gelaufen. Man konnte denen fast alles vor die Nase setzen und sie sind total ausgeflippt, nur weil sie selbst so wenig Live-Acts gesehen hatten. Und jetzt, mit all den Happenings und Konzerten sind sie fast ein bisschen blasiert geworden.«
Neben Minus als rumänischer Act stand bei der letzten Ausgabe des Festivals auch der gebürtige Bukarester Bogdan Marcu, alias Bog auf der Bühne. In bis ins Extrem ausgereizter Bastardisierungs-Manier zerpflückt er in seinen wilden Mixes alles vom orientalisch anmutenden Manele-Pop bis hin zu alten rumänischen Schlagern. Diese legt Bog, der sich eher als Medienkünstler denn als Musiker versteht, in oft unzähligen kleinen Schichten übereinander. »Wenn man heute in Rumänien die Sänger aus den Neunzigern hört, dann machen sie alle nervös. Die Leute hassen hier alles, was alt ist und ich mache das gleiche. Aber wenn das alle machen, fängt man an, das zu reflektieren und nach einer Weile findet man Schönheit in diesen alten Dingen. Und das mache ich in meinen Mixes manchmal. Ich lasse diese Stücke ein wenig romantisch, um sie dann komplett auseinander zu nehmen.«
Verhasste Lebensbedingungen
Wut und Hass auf das kommunistische Erbe, den schlechten Ruf im Ausland und die ambivalente Haltung gegenüber der eigenen Identität ist nicht selten Thema dieser sich in heftiger Transition befindenden Gesellschaft. Der Bukarester Marius Costache bündelte diese Energien zum Nährboden seiner Musik. »Ich hasse mein Land nicht. Ich hasse nur die Lebensbedingungen hier. So arm es ist, so sehr es vom Ausland als ein Land der Diebe angesehen wird, es hat etwas ganz eigenes.« Gemeinsam mit dem Holländer Jeno Havelaar rief er das im Noise angesiedelte Projekt Discordless ins Leben. Nach einem ersten stark Industrial-lastigen Selfrelease reichen ihre späteren und wesentlich ausgereifteren Stücke von eher ambientartigen Soundcollagen über heroische Pop-Hymnen bis hin zu zwölftonartigen Songkonstrukten – stets umrankt von einer schwer zu verortenden Klammheit.
Wie auch Minus ist Marius Costache erst Anfang 20 und kann neben Candlestickmaker, Mort la Creier oder Selfmademusic – dessen verspielte Soundkunstwerke ebenfalls auf Arhiva7 zu hören sind – als Speerspitze einer neuen Musikergeneration gesehen werden. Eine Szene, die sich hauptsächlich aus den Möglichkeiten des Web 2.0 speist und im Gegensatz zu den vorangegangenen Künstler-Generationen wohl nicht mehr um jeden Preis den »Brain-Drain« des Landes weiterführen wird: »Eine Menge Leute haben es vorgezogen, Rumänien zu verlassen«, so Daniel Stanciu, »und mittlerweile leben wohl Millionen von Rumänen im Ausland. Und wirklich, es ist in vielerlei Hinsicht wirklich anders dort. Das Leben ist leichter. Aber ich weiß nicht, es hat seine guten Seiten hier zu leben. Ich denke hauptsächlich deswegen, weil ich hier aufgewachsen bin. Ich kenne die Menschen hier und hab mich an diese Art zu Leben gewöhnt. Aber sicher bin ich mir auch nicht.«
Erschienen in skug Vol.73 1-3/2008