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Paralellzeiten angleichen

Ein Gespräch mit der rumänischen Künstlerin Lia Perjovschi über Wille und Trägheit zu Zeiten des Postkommunismus.

Was bedeutet es für eine Gesellschaft, nicht nur das politische und wirtschaftliche System einem radikalen Wandel zu unterziehen, sondern auch tief eingeschliffene Denkmuster und Verhaltensweisen? Im von Korruption und Misswirtschaft gezeichneten Rumänien der neunziger Jahre beherrschten Fragen wie diese das neu erwachte politische Bewusstsein der Menschen. Auf dem Feld der Kunst gehörte die 1961 im rumänischen Sibiu geborene Künstlerin Lia Perjovschi zu den Protagonisten jener Debatten. Um den über die Jahre erstickten Kunst-Diskurs in neue Richtungen zu lenken, eröffnete sie im Jahre 1997 ein Archiv für Gegenwartskunst in Form von Akten, Büchern, Videos und Bildern – zu jener Zeit ein einzigartiger Ort in Bukarest. Nach einer zweijährigen Pause hat das Archiv im Hinterhofgebäude der Bukarester Kunstuniversität seine Pforten für einen Monat wieder geöffnet. Ein Anlass zur Bestandsaufnahme.

Frau Perjovschi, im Jahr 1997 haben Sie ein Museum für Moderne Kunst in Form eines Archivs gegründet. Wie ist die Idee hierzu entstanden?
Der erste Schritt bestand darin, den Mangel an Informationen in dem ich aufgewachsen bin zu realisieren. Nach der Revolution konnten wir ausreisen. Wir sahen Ausstellungen, die anders waren als alles, was wir bis dahin kannten. Mir wurde klar, dass in Rumänien eine Menge Informationen fehlten und fing an zu sammeln. Dann gab es diese Idee, ein Museum für zeitgenössische Kunst in Akten und Büchern, nicht in realen Arbeiten aufzubauen. Ich fing mit Performance, Installationen, Photo, Video und Medien-Kunst an, kam dann mehr auf die Theorie und besondere Institutionen.

Wie haben Sie versucht, die Gesellschaft zu erreichen?

Bis jetzt war das sehr leicht, weil es nicht viele Informationen gab, nicht viele Institutionen und nicht so viele Projekte. Im Jahr 2000 waren wir Moderatoren einer zweistündigen Fernseh-Live-Sendung über Kultur und Politik. Das war der Moment, in dem ich wirklich eine Menge Informationen meines Archivs nutzte. Und natürlich war ich auch ständig an Universitäten und Hochschulen.

Und mit welchen Mitteln haben Sie versucht, auch die Durchschnittsbürger zu erreichen?
Für mich ist jeder willkommen. Ich denke nicht darüber nach, ob sie jung, alt oder durchschnittlich sind. Ich möchte ihnen etwas bieten, das für unser Leben interessant und nützlich ist; etwas, dass uns Ideen geben kann. Aber: Nach all den Jahren und all diesen Erfahrungen denke ich, müssen sich die Menschen auch ein wenig anstrengen, sozusagen den halben Weg gehen. Es ist wichtig, dass man schon auf der Suche nach etwas ist. Dann kann man sich mit den Anderen treffen, die einem wiederum etwas anbieten können.

Könnte man diesen Ort, an dem sich das Archiv hier in der Metropole Bukarest befindet, einen geschützten Ort nennen?
Man könnte sagen ein relaxter Ort. Man kann ihn auch einen interdisziplinären Punkt nennen. Oder ein alternatives Lehrprojekt, offen für Kultur aber nicht nur dafür. Eigentlich denke ich, eine Menge der Leute die herkamen schätzen, wie relaxed und offen wir sind. Und nach der ganzen Arbeit bin ich für einige Jahre entspannt: Die Leute sind informiert darüber, was Kunst ist und wie man sie benutzen kann.

Also hatten Sie damit Erfolg?
Ja, vielleicht. Wir waren nicht die einzigen, aber wir haben dazu beigetragen. Ich hoffe die Auswirkungen werden irgendwann sichtbarer werden, vor allem in Sachen Qualität.

Um diesen Raum zu verlassen: Wie würden Sie die Situation im gegenwärtigen Rumänien beschreiben?
Na ja, Kapitalismus. Sagen wir so: Wir befinden uns im Moment in zwei Zeiten. Es ist 2007 und in den 50er Jahren; also eine Pop-Kunst, eine Pop-Zeit. Es ist eine Parallel-Zeit in der all das jetzt kommt, was während des Kommunismus, in dem wir uns in einer Art Koma-Zustand befanden, fehlte. Zum Beispiel die Emanzipation von allerlei Gruppen aber auch die Konsumgesellschaft.

Eine Konsumgesellschaft und die rasend fortschreitende Modernisierung bringen Probleme mit sich. Wie geht man als Künstler damit um?
Wissen Sie, ich möchte mich nicht beschweren. Ich möchte aufbauen. Projekte, Lösungen oder was auch immer. Ich spreche nicht von mir als ein Opfer, auch nicht während der Zeit des Kommunismus. Und jetzt ist es wichtig, ganz viele Bücher zu lesen und sich mit Theorie zu befassen. Ich war während der Revolution aktiv oder zumindest sehr kritisch – nachher mehr, weil ich vorher Angst hatte. Also glaube ich an Ethik und eine intellektuelle Haltung. Und ich versuche mich und die Anderen zu ermutigen, darüber nachzudenken, was man wählt und sich über die Auswirkungen klar zu werden.

Aber was ist mit den jungen Künstlern? Wie können sie kritisch sein ohne von der Hand in den Mund zu leben?
Man muss kein Anarchis
t sein. Das ist keine Lösung, denke ich. Kritisch zu sein heißt genau zu wissen, was man will und wovon man ein Teil sein möchte. Man braucht natürlich viel Mut dazu, aber ich denke es ist möglich einen eigenen Weg zu finden. Gehorsam erwürgt mich, das ist keine Lösung. Vielleicht können das Andere. Wissen Sie, das ist auch etwas, das ich aus der Zeit des Kommunismus gelernt habe. Zu dieser Zeit dachte ich, es gibt nur eine Türe zu diesem Raum. Aber danach habe ich herausgefunden, dass ich ein wenig dumm war. Denn: Ich kann eine andere Türe vorstellen oder ich kann die Wand durchbrechen und eine zweite Türe kreieren. Es ist einfach wichtig, nicht zu akzeptieren, dass es nur eine Türe gibt.

Sie haben davon gesprochen, die Menschen sollten sich klar machen, wovon sie ein Teil sein möchten. Wo exakt kann dies in Bukarest sein? Sollen sie ins MNAC (Nationales Museum für Zeitgenössische Kunst in Bukarest) gehen, herkommen oder etwas Eigenes gründen?
Also, wir boykottieren das MNAC, da es sich im Parlamentsgebäude befindet. Ich bin nicht dagegen, dass es sich im Ceaucescu-Palast befindet – er ist nichts mehr. Ceaucescu ist tot. Aber zu allererst sollte das Parlament nicht dort sein, da es eine Diktatur mit sich selbst ersetzt. Es scheint also das selbe zu sein, obwohl es das demokratische Parlament ist. Dass die Kunst dort ist, geht ein wenig zu weit. Wir wollen nicht, dass das Symbol einer Diktatur in unserem Namen bewahrt wird und zum Symbol unserer Zukunft wird. Und natürlich würden wir sagen: Geh nicht hin! Boykottiere, dass das MNAC im Parlament ist. Aber wir liefern nur Argumente. Es ist auch nicht notwendig in unser Archiv zu kommen. Denk nach – das ist die Idee. Und überhaupt: Geh hier fort! Nicht für immer aus Rumänien, aber zum Reisen und um andere Dinge zu sehen. Wappne dich! Lies!

Wenn sie in die Zukunft schauen, was wünschen Sie Rumänien und dessen Kunst?
Mein Wunsch ist, dass es einen Moment geben wird, in dem die guten Energien an die Macht kommen, da das momentan ein wenig unausgeglichen ist. Wir haben eine Menge Korruption, verrückte Menschen, die uns regieren, und wir müssen sehr viel arbeiten. Also hoffe ich, dass etwas magisches oder noch besser metaphysisches passieren wird und mehr Menschen realisieren werden, dass es an uns liegt, die Dinge zu ändern. So wie während der Revolution: Eine Person wird nichts verändern können. Eine Gruppe kann da schon einen Unterschied machen. Zur Zeit geht es jedem nur darum, sein Auto zu reparieren, eine Wohnung zu bekommen und so weiter. Aber danach werden die Menschen sich über die Bedingungen Gedanken machen und sie werden Wege und Lösungen finden.

An welchem Punkt ist Rumänien jetzt? Haben nicht fast alle schon ein gutes Auto? Sehen Sie da eine Veränderung?
Vielleicht politisch – da ist mehr Wille da, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen. Das kommt von dem Druck der Europäischen Union, den wir seit den Debatten um den Eintritt haben. Aber generell würde ich nicht sagen, dass es genug ist. Die Menschen haben immer noch nicht genug vom Konsum. Sie sind immer noch gierig.